Religionen in den Krisengebieten Irak und Syrien Die Rolle der Religionen im Irak und in Syrien – Brandbeschleuniger der Konflikte oder bedeutendes Element des regionalen Peacebuildings? Religion als erheblicher Konfliktfaktor ist mit dem Aufstieg des IS erneut in den Blick einer breiten Weltöffentlichkeit geraten. Doch schon vor dem Aufstieg dieser Terrororganisation war die Religion – trotz der von den Regierungen des Iraks und Syriens proklamierten Tradition des friedlichen Zusammenlebens – ein Faktor in innergesellschaftlichen Konflikten und bei Machtkämpfen. Es gilt zu analysieren, ob die Religionen dabei der eigentliche Auslöser von Konflikten, Brandbeschleuniger oder einfach Instrument im politischen Machtkampf waren. Das Projekt nimmt deshalb die Rolle der Religionen in diesen beiden Ländern im 20. Und 21. Jahrhundert in den Blick. In Bezug auf Syrien sticht die Instrumentalisierung der religiösen Minderheiten durch die Präsidenten der Assad-Familie hervor. Bemerkenswert ist dabei, dass die Baath Partei, die anfangs ein stärkeres, später ein zunehmendes schwächeres Instrument der Herrschaft der Assads war, von einem sozialistisch geprägten griechisch-orthodoxen Christen, nämlich Michel Aflaq, mitbegründet wurde. Aus der religiösen Zusammensetzung der Gründer der Baath Partei Syriens hat sich das friedliche Zusammenleben der Religionen zu einem der wesentlichen Gründungsmythen des Staates Syrien entwickelt. Dieser Anspruch wurde jedoch in der Folge immer mehr zu einer propagandistischen Hülle. Ganz aktuell in den Blick zu nehmen ist die Rolle der syrischen Exil-Opposition. Während zu Beginn der Aufstände gegen die Regierung im Jahr 2011 die Frage der Religion von den Protestierenden bewusst nicht in den Mittelpunkt gestellt wurde, entwickelt sich die syrische Exil-Opposition nun immer mehr in Richtung auf einen arabisch-islamischen Nationalismus. So wird wiederum ein religiöser Faktor zum Hindernis einer schon so schwierigen und unrealistisch erscheinenden Versöhnung. In Bezug auf den Irak bietet sich ein höchst interessantes und vielschichtiges Bild bzgl. des Konnexes von Politik und Religion. Dies gilt schon für die Zeit von Saddam Hussein und seiner Wandlung vom säkularen Baath Politiker zum sunnitischen Führer. Die Wende ist mit dem sogenannten ersten Golfkrieg zu verknüpfen. Dabei ist die Instrumentalisierung des Islam durch Saddam Hussein unverkennbar. Auch wenn für ihn dahinter keine persönliche religiöse Überzeugung stehen mag, so zeigen sich doch die verheerenden Auswirkungen in Form des sunnitischen-schiitischen Konflikts in der der Post-Hussein-Ära. Eine religiöse Komponente der Spannungen und der Gewalt kommt in der jüngsten Geschichte nicht nur durch den IS, sondern auch durch die wachsende Einflussnahme des schiitisch dominierten Irans ins Spiel. Die Regierung des Irans machte sich nach dem Zusammenbruch staatlicher Strukturen im Irak bei dem Bemühen um wachsenden Einfluss im Land einen konfessionellen Faktor zu Nutze. In beiden Ländern ist die Bevölkerungsmehrheit schiitisch. Über diese konfessionelle Gemeinsamkeit gewann man Einfluss auf die politischen Parteien mit schiitischem Hintergrund und somit auch Einfluss auf die Gesellschaft. Dies wird bis heute daran deutlich, dass man im Irak große Portraits schiitischer Geistlicher aus dem Iran sieht. Dass eine solche konfessioneller Faktor aber auch seine Grenzen hat, wird daran deutlich, dass es mit Al Sistani ein schiitischer Geistlicher ist, der sich in der jüngeren Vergangenheit dem gewachsenen Einfluss des Iran entgegenstellt. Tritt zu dieser Wahrnehmung als Konfliktreiber oder -verursacher auch eine Erfahrung der Religion als positives Element des Peacebuildings? Auf diese Frage soll im Rahmen des Projekts eine Antwort gefunden werden. Dies wird nicht in Form einer theoretischen Abhandlung geschehen. Vielmehr knüpft die religionssoziologisch geprägte Untersuchung an regionalen Peacebuildingprojekten an. Träger der Projekte sind staatliche, quasi-staatliche und religiöse Akteure sowie humanitäre Organisationen. Es wird spannend sein zu beobachten, welches Verständnis von Religion und – daraus folgend – welche Rolle Religion beim Peacebuilding dieser Projekte spielen wird. Aus diesen Erfahrungen sind dann Leitlinien eines regional geprägten Verständnisses von Peacebuilding abzuleiten. Denn eine Herausforderung besteht darin, dass es bisher keine eigenen theoretische Ansätze des Peacebuildings in der Region gibt. Anknüpfungspunkt sind aber möglicherweise Modelle einer islamisch en Friedensethik. Wichtig ist bei der Ableitung der guiding principles für ein religiöses Peacebuilding aus derartigen Projekten, dass diese nicht unkritisch betrachtet, aber doch grundsätzlich akzeptiert werden. Zu oft dominiert „westlich“ geprägte Diskussionen die Erwartung, dass die Religionen der Region erst einmal ihren „Aufklärungs-Rückstand“ aufholen müssen, um die oben beschriebene Rolle der Friedensstifterinnen erfüllen zu können. Projektleiter: Dr. Jochen Reidegeld