Friedensethik des Luigi Taparelli d’Azeglio Ein Forschungsschwerpunkt des Instituts ist in der Vergangenheit die Aufarbeitung der friedensethischen Tradition gewesen. So wie das abendländische Denken überhaupt, ist auch die theologische und philosophische Tradition in Bezug auf die Themen Krieg und Frieden in der Antike verwurzelt. Seit dieser Zeit wurde in jeder Epoche – durch Mittelalter und Neuzeit hindurch bis heute – um die Frage gerungen, in welchem Verhältnis Krieg, Frieden und Gerechtigkeit zueinander stehen sollen. Eine der Kernfragen ist, ob es ethisch richtig oder sogar geboten sein kann, kriegerische Gewalt anzuwenden, um Frieden zu erreichen und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen. Ziel dieser Forschung ist es, die Ergebnisse dieser Auseinandersetzungen und deren Wirkungsgeschichte herauszuarbeiten. So werden die Wurzeln unseres heutigen Denkens freigelegt und unsere aktuelle Perspektive durch die Ergebnisse früherer Reflexionen geweitet. Denn die fundierte Kenntnis der Vergangenheit öffnet – angesichts der jeweils gegenwärtigen Probleme – den Horizont für die Lösungsansätze der Zunkunft. In über 30 Jahren hat das Institut für Theologie und Frieden wichtige ‚friedensethische Wegmarken‘ erschlossen: von Cicero über Augustinus, Thomas von Aquin, Francisco de Vitoria, Bartolomé de Las Casas, Domingo de Soto, Francisco Suárez bis hin zum Lehramt des 20. Jahrhunderts. Mittlerweile ist eine renommierte Bibliothek der friedensethischen Tradition gewachsen, die weltweit ihresgleichen sucht. Von Frühjahr 2016 bis Frühjahr 2018 haben wir in einem in Teilzeit realisierten Projekt an Luigi Taparelli d’Azeglio (1793 – 1862) gearbeitet. Vor allem durch sein Hauptwerk¹ und seine publizistische Tätigkeit als einer der Gründungsredakteure der Kulturzeitschrift La Civiltà Cattolica prägte der naturrechtliche Entwurf des adligen piemonteser Jesuiten die von den Päpsten ab Leo XIII. vertretenen Positionen nachdrücklich. Für uns standen die friedens- und konfliktethischen Abschnitte innerhalb seiner umfangreichen Arbeit, insbesondere die Organisation und Verantwortungsübernahme auf inter- bzw. supranationaler Ebene im Vordergrund: Zugleich war es ein wichtiges Anliegen zu betonen, dass sich diese Erörterungen nur in ihrer Verwurzelung im umfassenden naturrechtlichen Gesamtverständnis Taprellis erschließen. In diesem Horizont ist die Gesamtanlage der friedens- und konfliktethischen Ausführungen Taparellis, einschließlich des aufgezeigten allmählichen Hervortretens eines von ihm Ethnarchie genannten Völkerbundes, sogar noch kongruent mit heutiger katholischer Friedensethik. Erwähnt seien in dieser Hinsicht beispielsweise die Eingriffsmöglichkeiten der Ethnarchie im Falle schwerer Gerechtigkeitsverstöße im Inneren einzelner Mitgliedstaaten samt klarer Unterscheidung zwischen den Handlungsbefugnissen der Ethnarchie, weiterer Drittstaaten und der Bevölkerung eines betroffenen Staates selbst. Das vorstehende Projekt wurde mit einem Tagungsvortrag im September 2017 sowie der Publikation schriftlicher Beiträge vorerst abgeschlossen: „Luigi Taparellis naturrechtlicher Entwurf einer weltweiten Friedensordnung“. Theologie und Philosophie 94 (2019), S. 367-402 und „Luigi Taparelli als Vordenker der Friedensethik Leos XIII. und Benedikts XV.“. In: Birgit Aschmann, Heinz-Gerhard Justenhoven [Hrsg.]. Dès le début. Die Friedensnote Papst Benedikts XV. von 1917. Paderborn 2019, S. 49-68. Auf diese Weise konnte die Auseinandersetzung des Instituts mit christlicher friedensethischer Tradition um einen weiteren Mosaikstein zu einer für uns lohnenswerten ‚friedensethischen Wegmarke‘ erweitert werden. ¹ Saggio teoretico di diritto naturale appoggiato sul fatto, 1. Auflage, Palermo 1840-43 (bis 1855 folgten drei jeweils überarbeitete Neuauflagen). Projektleiter · Extern Dr. Marco Schrage