Tagungsbericht 100 Jahre Friedensappell Papst Benedikts XV. ›Dès le début‹ 100 Jahre Friedensappell Papst Benedikts XV. ›Dès le début‹ Birgit Aschmann, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin; Heinz-Gerhard Justenhoven, Institut für Theologie und Frieden, Hamburg 06.09.2017 – 08.09.2017 Von Jan-Martin Zollitsch, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin Das „Schlüsseljahr 1917“ hätte neben Lenin und Wilson noch ein dritter Akteur prägen können: Papst Benedikt XV. mit seiner Friedensinitiative vom Sommer 1917. Bald nach seiner Wahl im September 1914 hatte sich Giacomo della Chiesa als „Friedenspapst“ positioniert und wiederholt das „unnütz[e] Morden“[1] angeprangert. Im Frühsommer 1917 schickte er seinen Vertrauten Eugenio Pacelli als Nuntius zu Sondierungen nach Wien und Berlin. Eine wichtige Rolle spielte auch der Zentrumspolitiker Matthias Erzberger, der zeitgleich an der Entstehung der Friedensresolution des Reichstags beteiligt war. Die deutsche „Julikrise“ bot zugleich Chancen und Risiken für die Anbahnung von Friedensverhandlungen. Erst am 9. August wurde die Friedensnote, auch bekannt nach ihren Anfangsworten Dès le début, schließlich offiziell den kriegführenden Staaten zugestellt, am 17. August, im „Osservatore Romano“ auch veröffentlicht. Der Papst und seine Note bestimmten in der Folge eine Zeit lang die medialen Öffentlichkeiten der einzelnen Länder[2], auch wenn die Reaktionen im Einzelfall, etwa unter den deutschen Bischöfen, sehr dünn ausfallen konnten. Dies mag daran liegen, dass der Papst in Dès le début mit völkerrechtlichen Entwürfen an die Kriegsherren herantrat und sich nicht auf einen theologischen Diskurs beschränkte. So forderte er eine allgemeine Abrüstung, die Räumung der besetzten Gebiete, die Einrichtung eines verpflichtenden internationalen Schiedsgerichts und nichts weniger als eine „Reorganisation der Völker“[3], auf dass „an die Stelle der materiellen Gewalt der Waffen die moralische Macht des Rechts [trete]“. Nachdem die Antwortnoten entweder ausblieben oder, wie im Fall des Deutschen Reiches unbefriedigend ausfielen, musste Pacelli Ende September konstatieren, dass die Friedensinitiative gescheitert sei: Aus Italien und Frankreich waren dem päpstlichen Ansinnen antiklerikale Topoi und enttäuschte Erwartungen entgegengeschlagen. Die deutsche Seite war nicht auf das sine qua non „Belgien“ eingegangen. England hatte sich bedeckt gehalten und nach Amerika geblickt, wo Wilson dem Papst und seinem „rührenden Appell“[4] mit einem Gestus moralischer Überlegenheit eine Antwortnote zukommen ließ, die allgemein als Absage verstanden wurde. Statt des Kairos einer päpstlichen Friedensmission zeichnete sich hier der sogenannte „Wilsonian Moment“[5] ab. Hundert Jahre später widmete sich die Tagung der Frage, ob dieses Scheitern unausweichlich war. Organisiert vom Institut für Geschichtswissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin und dem Hamburger Institut für Theologie und Frieden brachte die Konferenz Theologen, Kirchenhistoriker und Historiker/innen zu einem interdisziplinären Austausch zusammen. In drei Sektionen ging es um die Entstehungsumstände und Rezeption, vorwiegend auf deutscher Seite, der päpstlichen Friedensnote, wie auch, in einem größeren Rahmen, um die ideengeschichtliche Verortung der katholischen Friedensethik Benedikts XV. sowie ihren längerfristigen Einfluss. BIRGIT ASCHMANN (Berlin) entwarf in ihrem Eröffnungsvortrag in einer tour d’horizon des Jahres 1917 den Kontext der päpstlichen Friedensnote und erörterte erste Perspektiven auf ihre Chancen und ihr Scheitern. So habe im Frühsommer 1917 durchaus eine realistische Aussicht auf einen Erfolg derselben bestanden, bedingt durch die zwischenzeitliche militärische Ermattung auf beiden Seiten und einen aufblühenden politischen Friedenswillen in Österreich-Ungarn wie im Deutschen Reich. Letztendlich hätten jedoch die Gründe für ein Scheitern überwogen: Fehlkommunikation und -kalkulation auf deutscher Seite, gerade in Bezug auf den Faktor „Belgien“, bedingt auch durch personelle Diskontinuitäten (Sturz Bethmann Hollwegs), dazu Kriegszielzwänge bei allen Kriegsparteien und ein Versagen der Friedensethik angesichts der beherrschenden „Episteme der Ehre“. Auch habe Wilson im Wettstreit der konkurrierenden Vermittlungsversuche von 1917, sei es unter amerikanischer, päpstlicher oder international-sozialistischer Ägide, dem Papst die „Moralhegemonie“, und auch das Momentum, entwinden können. Dies verdeutliche die euphorische Aufnahme der Antwortnote des US-Präsidenten vom 27. August 1917. Die Rückkehr des Papsttums auf die internationale Bühne habe so die Wilsonsche Demokratiemission zusätzlich befeuert und im Gegensatz zur Delegitimierung des Krieges durch Benedikt XV. eine moralisch-emotionale Re-Legitimierung bewirkt. In der sich anschließenden Diskussion stellte Heinz-Gerhard Haupt die Frage, inwieweit die Friedensnote als bloße „moralische Proklamation“ zu sehen sei oder doch als realistisch-konkrete „Anleitung zur Kommunikation“. Wo einerseits das „utopische“ (Aschmann) bzw. „normative“ (Heinz-Gerhard Justenhoven) Überschusspotential der Note konstatiert wurde, plädierten Klaus Große Kracht und Marco Schrage dafür, die prägnanten, völkerrechtlichen Forderungen Benedikts XV. anzuerkennen, die auch Wilson zu einer Antwort herausgefordert hätten. In der ersten Tagungssektion stand die geistesgeschichtliche Verortung des Denkens Benedikts XV. im Vordergrund. MARCO SCHRAGE (Hamburg) wies auf den Einfluss der völkerrechtlichen Schriften des italienischen Theologen Luigi Taparelli auf den Friedensentwurf Giacomo della Chiesas hin. HEINZ-GERHARD JUSTENHOVEN (Hamburg) sah im Pontifikat Benedikts XV. den Beginn der modernen katholischen Friedensethik und in der Friedensnote einen Programmentwurf für eine neue Staatenordnung, der bis heute fortwirke. Das arbiter mundi-Verständnis Leos XIII. sei bei Papst Benedikt zugunsten eines zurückgenommeneren Selbstverständnisses als Mediator bei der Etablierung dieser neuen internationalen Staats- und Rechtsordnung überwunden worden. Hierfür ließen sich Verbindungen zur Auseinandersetzung des Kardinalstaatssekretärs Mariano Rampolla del Tindaro mit der Einrichtung der Haager Friedenskonferenz 1899 ziehen. JOHN F. POLLARD (Cambridge) skizzierte in seinem Vortrag die Einbindung des Heiligen Stuhls in die internationalen Beziehungen während des Krieges und wies auf die nicht zu unterschätzende Rolle von Benedikts Kardinalstaatssekretär Pietro Gasparri hin. Auch der Vatikan habe, wie Justenhoven zuvor bereits andeutete, seit 1914 durchaus seine eigenen Interessen im Blick gehabt: die Bewahrung Österreich-Ungarns als Bollwerk gegen ein Ausgreifen der russischen Orthodoxie, die Errichtung eines polnischen Nationalstaats, die Einhegung des italienischen Irredentismus bei Klärung der römischen Frage und ein Mitspracherecht bei einer zu erwartenden Friedenskonferenz nach dem Krieg. Auch wenn der Nationalismus eine Herausforderung für den Vatikan dargestellt habe, zeige die pragmatische Haltung des Papsttums gegenüber den neu entstandenen Nationalstaaten der Nachkriegsordnung, wie der Heilige Stuhl mit dem diplomatisch erfahrenen Duo Benedikt und Gasparri an der Spitze von den neuen Gegebenheiten auch profitieren konnte. Daran schloss sich eine Diskussion über die Bedeutung der päpstlichen Interessen an, die um die Frage kreiste, ob sie als „Kriegsziele“ zu bewerten wären, die die Position des Papstes als Vermittler von vornherein diskreditiert haben könnte. Der Hauptteil der Tagung widmete sich der Rezeption der päpstlichen Friedensnote sowie, in den ersten beiden Referaten, zwei Protagonisten der Verhandlungen zwischen Vatikan und Berlin. So hatte Matthias Erzberger, wie CHRISTOPHER DOWE (Stuttgart) verdeutlichte, schon seit längerem auf eine päpstliche Friedensinitiative gedrängt und stand mit Rom in einem regen Informationsaustausch. Durch sein Eintreten für einen Verständigungsfrieden und seine Verbindungen zum Vatikan wurde er zu einem Feindbild vor allem protestantisch-konservativer Kreise. In den Umbrüchen der Julikrise erst obenauf, sei er im weiteren Verlauf der Verhandlungen über die deutsche Antwort zunehmend kaltgestellt und mit dem Vorwurf des Landesverrats konfrontiert worden. Das Referat mündete in eine Diskussion um den Zusammenhang von Friedensresolution und Friedensnote. Daneben standen die nicht zu vernachlässigende Frage nach der Relevanz der Konfession bei der Friedensvermittlung, Erzbergers Rolle beim Sturz Bethmann Hollwegs und seine doppelte Loyalität – „deutsch“ und „katholisch“ – im Vordergrund. vollständiger Text unter: http://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-7348